Sonntag, 27. April 2014

1. Literarisches Betthupferl der Eröffnungswoche der Facebook-Fanpage


Der erste offizielle Tag der Fanpage zu Das Lächeln des Falken geht zu Ende. Ich bedanke mich bei allen, die dem Lächeln des Falken ein Like gegeben und bei der Buchverlosung mitgespielt haben. Natürlich freue ich mich, wenn im Laufe der Woche noch viele Like dazukommen würden.

Als kleines Dankeschön gibt es als literarisches Betthupferle das erste Textspickerle aus Band 1 Pfade der Hoffnung. Ich wünsche euch viel Spaß beim Lesen.


Aus dem Buch:

In meinem Dämmerschlummer spürte ich ein Kitzeln. Etwas berührte meine Wange, immer wieder und immer an der gleichen Stelle. Mein Unterbewusstsein hielt es eine Fliege. Schließlich befand ich mich in einem Pferdestall, und in Ställen gab es jede Menge Fliegen. Ich wischte an meinem Kinnbogen entlang, um das lästige Insekt zu verscheuchen. Dass ich nach Wochen ohne Waschgelegenheit nicht unbedingt nach Maiglöckchen duftete, war mir klar, aber dass ich bereits dermaßen erbärmlich stank, dass ich Fliegen wie ein Kuhfladen anzog, war keine angenehme Vorstellung. In einer schnellen Handbewegung schlug ich im Halbschlaf zu und hatte etwas zwischen den Fingern, das sich nicht wie eine zappelnde Fliege anfühlte, sondern …
Es war ein Strohhalm. Ich hielt den Halm fest und hörte ein leises, jungenhaftes Kichern.
Schlagartig war ich glockenwach. Ich riss die Augen auf; mein Kopf wirbelte herum. Neben mir hockte ein Junge und grinste mich mit dem breitesten Lächeln an, das ich seit einem halben Jahr gesehen hatte.
»Du lebst ja«, sagte er auf Englisch. Jetzt reichte sein Grinsen von einem Ohrläppchen zum anderen.
Ich starrte den Burschen ungläubig an, wobei ich mich bei der Frage ertappte, worüber ich mehr staunte. Über die Tatsache, dass er es klammheimlich an meine Seite geschafft hatte oder darüber, dass er nahezu akzentfrei Englisch sprach. Weder das eine noch das andere trug zu meiner Beruhigung bei.
»Natürlich lebe ich, oder sehe ich wie eine Katze aus, die sich zum Sterben zurückgezogen hat«, entgegnete ich gereizt.
»Nein, aber was machst du hier?«, fragte er mit ehrlicher Neugier.
Ich musterte ihn, während ich mir überlegte, welche Antwort am glaubwürdigsten klang. Er war zwölf oder dreizehn Jahre alt und soweit ich es in dem schummerigen Licht erkennen konnte, hatte er rotblondes, struppiges Haar und war kein bisschen sauberer als ich selbst. Ich entschloss mich zu einem forschen Gegenangriff. »Dieselbe Frage könnte ich dir auch stellen. Du siehst nicht gerade wie ein Einheimischer aus. Also? Gehört ein Knabe deines Alters um diese Zeit nicht schon längst auf sein Schiff?«
Er grinste zwar weiterhin, aber nicht mehr so offen, und schüttelte verneinend den Kopf.
»Bist du etwa abgehauen?«, hakte ich nach.
Der Junge nickte verhalten. »Genau wie du.«
Der Kleine verblüffte mich immer mehr. »Wie … Wie kommst du denn auf die Idee?«
»Ganz einfach, richtige Damen verstecken sich für gewöhnlich nicht auf dem Heuboden eines Pferdeverleihers und schon gar nicht auf spanischen Inseln«, gab er im tiefsten Brustton der Überzeugung zurück. Er musterte mich noch einmal. »Und deren Gewänder sind, verzeih mir bitte, in aller Regel wesentlich sauberer.«
So viel stand schon mal fest; der Kleine war nicht auf den Mund gefallen.
»Ach ja?!«, murmelte ich, weil mir auf die Schnelle nichts Intelligenteres einfiel.
»Aye, Ma’am.«
»Na schön. Und weiter?«
Der Junge zuckte die Achseln, zupfte ein paar Strohhalme aus dem Haufen, auf dem er saß, und begann sie spielerisch um seine Finger zu wickeln. Er sah mich aus leuchtenden Augen an, dann streckte er mir die Hand entgegen.
»Ich heiße Gavain Fothergill, aber, weil ich für mein Alter noch ziemlich schmächtig bin, nennen mich alle Little Fothergill. Und wie heißt du?«
Ich zögerte, denn ich war weiterhin misstrauisch, auch wenn mir der Bursche nicht unbedingt gefährlich erschien. »Sag einfach Mary zu mir«, gab ich zurück und reichte ihm ebenfalls die Hand.
Er grinste erneut, diesmal sah es lausbübisch aus. »Na schön, Mary, aber ich glaube trotzdem, du bist die, die sie suchen.«
Ich fühlte, wie bei seinen Worten sämtliche Kraft aus meinen Gliedern wich und mein Mund vor Unbehagen trocken wurde. »Die, die sie suchen?«, wiederholte ich, um Zeit zu schinden.
»Aye Ma’am«.
Die Antwort des Jungen hätte kaum wortkarger ausfallen können, aber wenigstens gewann ich meine Fassung zurück. »Was macht dich da so sicher?«, fragte ich im Flüsterton.
»Weil sie deine Beschreibung an alle britischen Schiffe weitergeben haben. Sie suchen eine gewisse Gwenyth Mary McDonnell. Jung, blond, hübsch.«
Ich sah an mir hinunter. Auch wenn die Lichtverhältnisse, hier oben, auf dem Boden schlecht waren und vieles beschönigten, konnte ich mir das Attribut hübsch im Bezug auf mein gegenwärtiges Äußeres kaum vorstellen, aber es schmeichelte. »Hübsch. Das steht doch nicht wirklich in der Beschreibung?«
Der Kleine fiel auf den Rücken und lachte so herzhaft, dass ich einfach einstimmen musste.
»Nein, das habe ich dazugedichtet.« Er wurde wieder ernst. »Sag schon, bist du die Frau?«, wollte er wissen.
»Und wenn es so wäre, würdest du dann zu deinem Captain laufen und mich verraten?«
Er schüttelte den Kopf. »Nein, Ma’am. Ein wahrer Gentleman würde nie das Leben einer Frau in Gefahr bringen. Und außerdem …« Der Junge wurde still.
»Und außerdem was
»Außerdem gehe ich niemals wieder auf mein Schiff zurück«, sagte er leise, aber mit einer Festigkeit in der Stimme, die keinen Zweifel an seiner Entschlossenheit aufkommen ließ. »Mein Captain ist ein schlechter Mensch. Ich will mir nicht ausmalen, was er mit mir anstellt, wenn ich ihm noch einmal in die Hände fiele.«
»Was willst du dann tun?« Dass er noch ein halbes Kind war, verkniff ich mir anzufügen.
Little Fothergills Gesicht hellte sich auf. »Ich heuere einfach auf einem anderen Schiff an.«
»Und du glaubst, das ist so leicht?«, fragte ich und war geneigt, den Jungen ernsthaft zu beneiden, denn anscheinend besaß er nicht nur ein unerschütterliches Vertrauen in die Zukunft, sondern er hatte, im Gegensatz zu mir, auch einen Plan.
Er nickte. »Aye, Ma’am. Ich bin zwar nicht besonders kräftig, aber ich bin schmal und flink genug, um mich auf und zwischen den Kanonen zu bewegen. Als Pulveräffchen würden sie mich allemal nehmen.«
Nach dieser Aussage beneidete ich ihn nicht mehr. «Pulverjungen leben ziemlich gefährlich«, gab ich zu bedenken.
»Ja, ich weiß, im Gefecht sterben die immer zuerst, weil sie nicht nur zwischen den Kanonen rumturnen, sondern auch für den Munitionsnachschub sorgen müssen.« Er schnitt eine abwägende Grimasse. »Deshalb wäre mir ein Handelsschiff auch wesentlich lieber.«
»Mir auch«, murmelte ich. Der Gedanke an Kriegsschiffe machte mir plötzlich wieder meine eigene Situation schonungslos bewusst. »Wenn du dir ein Schiff im Hafen aussuchen könntest, für welches würdest du dich entscheiden?«, fragte ich.
Die Antwort kam wie aus der Pistole geschossen. »Die Rapace
»Rapace? Klingt französisch.«
»Natürlich. Sie kommt ja auch aus Frankreich. Das erkennt man an der weißen Flagge am Heck, dem drapeau blanc
»Na, du kennst dich aus.«
Little Fothergill straffte den Oberkörper. »Aye, Ma’am. Meine mangelnde Körpergröße ändert nichts an der Tatsache, dass ich ein Matrose bin.«
»Das hätte ich fast vergessen, entschuldige bitte.«
Little Fothergill rutschte näher an mich heran und drückte sein Gesicht an den zwei fingerbreiten Spalt zwischen den zusammengenagelten Holzbrettern, die als Klappladen für die Ladeluke dienten.
»Du kannst die Rapace sogar von hier aus sehen. Es ist der dunkle Dreimaster, der ziemlich weit vorne am Kai liegt.« Er machte mir Platz, damit ich hinaussehen konnte.
Ich starrte zum Hafen hinüber. Entlang der Befestigungsanlage brannten zahlreiche Fackeln und tauchten die Schiffe in gespenstisch flackerndes Licht. An der Kaimauer lagen mehrere Dreimaster vertäut. Und da ich keine Ahnung hatte, welches Schiff der Bursche meinte, entschied ich mich kurzer Hand für das auffälligste. »Meinst du etwa das, mit dem Falken als Galionsfigur?«
»Ja, daher auch der Name des Schiffes. Rapace ist das französische Wort für Raubvogel.«
»Du sprichst französisch?«
Little Fothergill winkte ab. »Nur ein paar Wörter.«
»Und warum willst du dann unbedingt auf dieses Schiff?«
»Weil es ein schönes Schiff ist und …«, er brach ab.
Ich sah ihn erwartungsvoll an.
»Du sagst es keinem weiter, und du lachst mich auch nicht aus.«
Ich schüttelte den Kopf. »Nein.«
»Versprochen?«
»Verspochen.«
»Nachdem ich abgehauen bin, bin ich zur Rapace gelaufen, um sie aus der Nähe anzuschauen. Sie ist wunderschön. Fast so schön wie eine Frau. Und was macht ein höflicher Junge, wenn er eine Lady trifft, er verbeugt sich, und lächelt zum Gruß«, er wurde ernst. »Ich schwöre es beim Leben meiner Mutter, der Falke hat zurückgelächelt.«
Ich musste mir alle Mühe geben, keine Miene zu verziehen, denn ich konnte mir beim besten Willen nicht vorstellen, wie ein lächelnder Falke aussah.
»Ich verstehe. Das Lächeln des Falken …«, nun platzte es ich doch aus mir heraus, »Little Fothergill, das ist ausgemachter Blödsinn. Vögel können nicht lächeln und eine Holzfigur schon gar nicht.«

»Du glaubst, ich habe mir das alles nur ausgedacht!« Little Fothergill klang enttäuscht...