Mittwoch, 30. April 2014

3. Literarisches Betthupferle

Nachdem gestern das dritte literarische Betthupferle zur Fanpage- Eröffnung nicht erschienen ist, wird das nun umgehend nachgereicht. Es ist zwar erst Nachmittag, aber bestimmt habt ihr trotzdem Spaß daran.

Auszug aus dem Buch:

Ferrier behielt recht. Unten an der Leiter empfing uns tatsächlich eine kleine Herde Schafe. Allmählich hatten sich auch meine Augen an die nächtlichen Lichtverhältnisse im Hinterhof gewöhnt. Ich erkannte die vagen Umrisse der umliegenden Gebäude, die Tiere, die mich umringten, und meinen französischen Retter, der in diesem Moment in einem geschmeidigen Sprung über den Holzzaun des Schafgatters hinwegsetzte.
Ich drückte die wolligen Leiber beiseite, um ihm zu folgen. Mit jedem Schritt, den ich machte, wurden die Viecher aufdringlicher. Vom Duft der Trockenfrüchte in meinem Beutel angelockt, zogen und zupften die Biester fordernd an meinem Rock. Ein besonders dreistes Exemplar, stellte sich neben mir auf die Hinterbeine und biss in meinen Ärmel.
Als ich endlich vor der hüfthohen Umzäunung stand, streckte mir Ferrier seine Arme entgegen.
»Wartet, ich helfe Euch«, sagte er. Im nächsten Moment spürte ich, wie mich zwei starke Hände unter den Achseln packten und über das Hindernis hoben.
»Danke«, entgegnete ich. Der Lärm aus dem Schankraum wurde wieder lauter, dort herrschte weiterhin Aufruhr. Eine flüchtige Bewegung am oberen Ende der Leiter, ließ mich aufschauen.
»Ich glaube, da oben ist jemand«, bemerkte ich im Flüsterton.
Ich sah noch einmal hinauf, doch ich musste mich getäuscht haben, das Ende der Leiter lag einsam im    Dunkeln.
»Lasst uns verschwinden«, empfahl Ferrier.
Ich nickte dankbar. Meine Augenlider hatten mittlerweile die Schwere von Bleigewichten, meine Schuhe drückten, meine Fußsohlen brannten wie Feuer, und mein Rücken schmerzte, als hätte ich tagelang Brennholz geschleppt. In diesem Moment sehnte ich mich nach genau drei Dingen: einer Decke, einem dicken Daunenkissen und einer weichen Matratze.

Die Gasse vor uns führte direkt zum Hafen hinunter und war ähnlich finster wie der Hinterhof. Hier und da drang gedämpftes Licht aus einem Fenster und erhellte ein schmales Stück des Pflasters. Ich nahm alle in mir verbliebenen Kräfte zusammen und rannte auf Ferriers Geheiß los, schließlich wollten wir so schnell wie möglich sein Schiff erreichen.
Nach den Menschenmassen am Tag wirkte die Stadt in der Dunkelheit wie ausgestorben. Niemand war auf der Straße zu sehen und das einzige Geräusch, das die Nacht erfüllte, war das Echo unserer Schritte, das von den Häuserfronten zurückgeworfen wurde. Nur noch etwa dreihundert Fuß trennten uns von der Kaimauer. Nun war es nicht mehr weit bis zum rettenden Schiff.
Ein Silberstreif der Zuversicht ging an meinem Horizont auf, dann zerriss ein ohrenbetäubender Knall die nächtliche Stille.

Ferrier warf sich instinktiv zu Boden und riss mich ebenfalls hinunter auf das Steinpflaster.
»Versteckt Euch!«, forderte er mich leise auf.
Ich tat, was er mir befahl, und suchte Schutz in den Schatten zwischen zwei Häusern. Die Kälte der Angst kroch durch meine Adern und lähmte mich, während ich bestürzt das Schauspiel beobachtete, das sich ein Stück von mir entfernt zutrug.
Eine groß gewachsene massige Gestalt wankte auf die Mitte der Straße zu.
Trotz der Dunkelheit ahnte ich bereits, wer diese Ge-stalt war. Endgültige Gewissheit gab mir Ferriers Schreckensschrei.
»Fynn!«, schrie er. In seiner Stimme vereinigten sich Fassungslosigkeit, Entsetzen und blinde Wut.
O’Maleys helles Haar und sein weißes Hemd leuchteten gespenstisch weiß im fahlen, nächtlichen Licht. Langsam, als hinge er an unsichtbaren Fäden, sank der Ire auf die Knie. Eine Hand hielt er flach auf seine linke Seite gepresst, die andere streckte er mühevoll nach oben und gab Ferrier ein abwehrendes Zeichen. Doch Ferrier schenkte O’Maleys Warnung keine Achtung. Blindlings rannte er seinem Freund entgegen.