Donnerstag, 1. Mai 2014

4. Literarisches Betthupferle als Morgengruss

Gestern hatten wir Halbzeit in der Eröffnungswoche der Fanpage. Für mich stand der gestrige Tag ganz in der Vorbereitung für meine heutige Lesung, die, wie ihr bestimmt wisst, auch meine Lesungs-Premiere ist. Ich möchte mich ganz herzlich bei euch für die vielen guten Wünsche bedanken, die ihr mir geschickt habt, dafür gibt es jetzt das 4. Literarische Betthupferle zum Wachwerden. Viel Spaß beim Schmökern.

Auszug aus dem Buch:

Ich hob Ferriers Hemd vom Boden auf. O’Maleys Blut hatte auf dem hellen Stoff einen hässlichen rotbraunen Fleck hinterlassen. Ich legte es über meinen Arm und setzte mich an das andere Ende der Bank.
Ferriers Haar war dunkelbraun. In großen Locken fiel es auf seine Schultern. Er besaß ebenmäßige Gesichtszüge und, wie mir auffiel, für einen Mann lange dichte Wimpern. Auf Wangen, Kinn und um seinen Mund herum zeigte sich ein akkurat gezogener, dunkler Bartschatten, der verriet, dass die letzte Rasur schon einige Zeit zurücklag. Seine Haut war sonnengebräunt und hatte einen satten olivbraunen Ton angenommen. Um den Hals trug er einen aufwendig gearbeiteten Anhänger, der mit einer Reihe klarer, wasserblauer Edelsteine besetzt war, die in der Form eines Kreuzes angeordnet waren. Mein Blick wanderte seinen drahtigen Oberkörper hinab. Quer über seinen Bauch zog sich eine etwa sechs Zoll lange Narbe. Das Wundmal war glatt und blass, somit musste die Verletzung etliche Jahre zurückliegen. Während ich mein Gegenüber weiterhin erforschte, fragte ich mich insgeheim, was damals geschehen war.
»Ihr fangt an mich anzustarren, Madame«, bemerkte Ferrier plötzlich. Noch immer hielt er den Kopf gesenkt und seine Lider geschlossen.
»Ich … Ich starre Euch nicht an«, stammelte ich ertappt.
»Doch das tut Ihr. Seit geraumer Zeit begutachtet Ihr mich wie einen Ochsen auf dem Viehmarkt.«
»Nein, das tue ich nicht.«
»Hört auf, mir zu widersprechen.«
»Woher wollt Ihr das überhaupt wissen, Ihr habt geschlafen.«
Ferrier schlug die Augen auf. Sie waren von graugrüner Farbe und so tiefgründig wie die kalten Bergseen meiner schottischen Heimat. »So, habe ich das?«, brummte er.
»Ja«, beharrte ich.
Er lächelte geheimnisvoll. »Ihr habt offensichtlich noch viel zu lernen, Madame.«
»Was macht Ihr überhaupt hier?« fragte ich. Um meine Nervosität zu verbergen, faltete ich sein Hemd zusammen.
Er stand auf, streifte die Decke von seinen Schultern und warf sie achtlos auf das Samtpolster. »Ich habe mich ein wenig ausgeruht. Ich hoffe, meine Anwesenheit stört Euch nicht.«
»Nein.« Ich legte das Hemd beiseite und zupfte meine Hose in Form. »Und danke für die Kleidung.«
Er musterte mich von Kopf bis Fuß. »Zugegeben, sie ist nicht sonderlich schön, aber zweckmäßig. Ihr werdet Euch daran gewöhnen.«
»Habt Ihr mir die Sachen hingelegt und die Vorhänge geschlossen?«
Ferrier verschwand in der Schlafnische. »Ja. Und ich war es auch, der Euch heute Nacht zugedeckt hat«, rief er.
Ich lief ihm hinterher. »Ihr habt was getan?«, fragte ich entsetzt.
Er stand vor der Spiegelkommode und hielt ein aufgeklapptes Rasiermesser in der Hand. »Ich habe Eure Blöße bedeckt.«
»Warum?«
»Weil die Decke verrutscht war und Eure Haut Anzeichen eines leichten Fröstelns zeigte.«  Er drehte sich zu mir um und lächelte breit.
»Schämt Ihr Euch nicht?«
»Nein. Und wenn es Euch tröstet, ich habe nichts Beschämendes getan und Ihr habt keinen beschämenden Anblick geboten«, sagte er, während er die Klinge über einen Lederriemen zog, um sie zu schärfen.
Ich atmete geräuschvoll aus, derweil ich nach den passenden Worten für meinen nächsten Satz suchte. »Nun gut, dann habt Ihr Euch sicher ein umfangreiches Bild von meinem Rücken gemacht.«
»Mitnichten, Madame, denn Ihr habt auf diesem Teil Eures Körpers gelegen«, antwortete er gelassen und begann seine Rasur.
Mir war plötzlich ganz heiß und ich fühlte, wie ich bei der Vorstellung errötete, was ich alles Ferriers Blicken preisgegeben hatte. Ich war kaum noch imstand ihn anzusehen. »Und wo ist mein Kleid?«, stieß ich zaghaft hervor.

»Wohl verwahrt, Madame. Ihr bekommt es wieder, sobald Ihr mein Schiff verlasst.«