Samstag, 3. Mai 2014

6. Literarisches Betthupferle - kann man auch morgens lesen.


Die Eröffnungswoche neigt sich langsam dem Ende. Das Lächeln des Falken hat in den letzten Tagen wieder etliche neue Freunde gefunden. Das gibt mir als Autorin ein wunderbares Gefühl, denn der Zuspruch zeigt mir, dass meine Arbeit Anklang und mein Roman stetig neue Leser findet. Ich bedanke mich ganz herzlich bei den lieben Menschen, die mich so unermüdlich unterstützen.
So, genug geredet, jetzt kommt das zweite literarische Betthupferle pünktlich zur Tasse Kaffee zum Wachwerden. Auch dieser Text ist nicht mehr in der XXL-Leseprobe enthalten. Viel Spaß



Auszug aus dem Buch:


Jaque nahm die Füße vom Tisch, stand auf und umklammerte mit seiner unverletzten Hand das Glas, als böte es ihm Halt. Er steuerte auf uns zu. Sein Interesse galt weder mir noch Branniggan, sondern ausschließlich unserem Begleiter. Wenige Schritte vor Hunter blieb er stehen. Wenn es für den Begriff Misstrauen bis dahin noch kein passendes Wort gegeben hätte, so hätte es ab jener Sekunde Jaque gelautet. Ihm war anzusehen, dass er gegenwärtig schlichtweg alles anzweifelte, was ihn umgab. Er hob das Glas, trank einen kleinen Schluck und verzog angewidert das Gesicht. Ob es am Geschmack des Rums lag oder an der Situation, verschloss sich meiner Kenntnis.
»Zieh dein Hemd aus und zeig mir deinen Rücken«, knurrte Jaque mit gefährlich leiser Stimme. »Ich will mit eigenen Augen sehen, ob du es wirklich bist.«
»Ich habe mein Hemd bereits für die Schiffsärztin ausgezogen, mon capitaine
Jaque lächelte böse und musterte sein Gegenüber mit einem abfälligen Blick. Seine Augen glänzten glasig im Schein der Petroleumlampe; offensichtlich war das nicht sein erstes Glas Zuckerrohrschnaps. »Dann wirst du es jetzt noch einmal für mich ausziehen, William Hunter. Hast du das verstanden?«
Hunter presste die Zähne aufeinander. Er wich einen widerwilligen Schritt zurück. Sekunden vergingen, in denen er Jaque nur regungslos ansah, bevor er wortlos sein Hemd abstreifte. O´Maley trat hinter Jaque, um dem Schauspiel aus nächster Nähe beizuwohnen.
»Eigentlich sollte ich dir nicht schutzlos den Rücken zudrehen«, entgegnete Hunter ruhig.
»Na los, mach schon. Dreh dich um«, befahl Jaque.
Hunter leistete der Aufforderung Gehorsam. Nach außen hin wirkte er beherrscht, doch ein leichtes     Zucken seines Brustmuskels verriet seine Angespanntheit. Bitte …«, sagte er, während er sich zu voller Größe aufrichtete. Die beiden Männer waren annähernd gleich groß. »… überzeug dich selbst, ob du damals hart genug zugeschlagen hast.«
Jaque antwortete nicht. Er betrachtete nur eingehend die Narben auf Hunters Rücken.
»Zieh dich an«, befahl er Hunter schließlich. »Und sag mir, was du von mir erwartest.«
Hunter streifte das Hemd über den Kopf. »Ich bitte dich nur um das, um was dich jeder Seemann in einer Notsituation bitten würde. Um eine anständige Behandlung, bis wir den nächsten Hafen erreichen. Im Gegenzug biete ich dir meine Dienste an.«
»Wenn das stimmt, was meine Crew erzählt, bist du freiwillig ins Wasser gesprungen und zur Rapace       herübergeschwommen, anstatt dein Schiff zu verteidigen. Das nennt man desertieren, Bill. Darauf steht die Todesstrafe.«
Hunter wich einen weiteren Schritt rückwärts. »Die Alliance war zu diesem Zeitpunkt bereits schon schwer getroffen, falls das deiner Crew entgangen sein sollte. Außerdem bin ich nicht freiwillig über Bord gegangen«, brachte er zu seiner Verteidigung hervor.
Jaque blieb weiterhin stumm, seine einzige Reaktion bestand darin, zweiflerisch eine Augenbraue zu heben.
»Wie sieht dein Plan aus?«, fragte Hunter. »Willst du mich dem nächsten britischen Schiff übergeben, das unseren Weg kreuzt? Mit einer Hochverräterin an Bord, auf die ein Kopfgeld von mehreren hundert Pfund Sterling ausgesetzt ist? Nein, Jaque, ein derartiges Risiko gehst du nicht ein. Du lieferst mich nicht aus.«
Jaque führte sein Glas an die Lippen, doch er trank nicht, sondern setzte es wieder ab. »Du hast vollkommen recht, Bill. Ich habe nicht vor, dich auszuliefern, aber ich bin auch nicht verpflichtet, dir Zuflucht zu gewähren. Hast du schon vergessen, was damals geschehen ist?«, sinnierte er.
Hunter rang sich ein bitteres Lächeln ab. »Jaques Ferrier. In all den Jahren hast du dich kein Bisschen verändert. Du siehst die Dinge immer noch genau so, wie du sie sehen willst.«
Jaque ließ die braune Flüssigkeit elegant im Glas kreisen, bevor er daran nippte. »Nein, Bill«, bemerkte er kühl. »Ich nenne die Dinge lediglich beim Namen und was dich betrifft, so rät mir mein Verstand, dir gegenüber vorsichtig zu sein.«
»Du denkst, ich will mich an dir rächen, oder warum lässt du mich sonst wie einen Dieb einsperren.«
»Erstens, weil du ein Dieb bist und zweitens, wenn dir der Sinn nach Rache steht, tu dir keinen Zwang an.« Jaque riss das Messer aus seinem Gürtel. Mit einem gezielten Wurf blieb es wenige Fingerbreit vor Hunter wippend in den Planken stecken.
Hunter bückte sich voller Bedacht nach der Waffe, während ich aus dem Augenwinkel beobachtete, wie O’Maley den Griff seiner Pistole umfasste. Auch Branniggan ging in Habachtstellung, indem er die Hand an sein Messer legte.
Die Spannung zwischen den Männern lag greifbar in der Luft. Ich hielt den Atem an und betete darum, dass in dieser Situation niemand vorschnell reagierte. Hunter blieb glücklicherweise gelassen. Er ließ sich von dem Geschehen um ihn herum nicht beirren. Behutsam zog er das Messer aus dem Holzboden, dann drehte er es herum, sodass die Klingenspitze in seiner Hand lag. Er streckte es mit dem Griff voran Jaque entgegen. »Ich brauche keine Waffe, Jaque, denn ich habe nicht vor, mich an dir zu rächen. Aber es wäre schön, wenn du mir zuhören würdest. Ich weiß nicht, warum das Schicksal ausgerechnet uns beide noch einmal zusammengeführt hat. Vielleicht war es Fügung, und bevor du mit mir anstellen kannst, was dir beliebt, möchte ich ein paar Worte an dich richten.«
Jaque gab einen unwilligen Laut von sich. Ich kannte ihn gut genug, um zu sehen, dass ihm das Gespräch widerstand, trotzdem nickte er und sagte: »Rede, Bill. Ich bin gespannt.«
Hunters Blick glitt noch einmal durch die Runde, bevor er sprach. »Ich habe dich damals nicht bestohlen, dazu war ich viel zu stolz, Teil dieser Mannschaft zu sein. Das ist die Wahrheit, Jaque, und wenn du es verlangst, schwöre ich auch einen Eid darauf bei meinem Leben.«
»War das alles?«
Hunter nickte.
Jaque strich eine dunkle Locke aus der Stirn. »Branniggan, bring ihn zurück in seine Zelle.«
Der Bootsmann nahm Hunters Arm und führte ihn zur Tür. Im Türrahmen drehte sich Hunter noch einmal zu Jaque um. »Übrigens, Captain«, sagte er, »hast du dich schon mal gefragt, wie Thornton so einen perfekten Hinterhalt vorbereiten konnte? Ich sag es dir gern, wenn du es wissen möchtest.«
»Raus!«, bellte Jaque.
»Jaque, du hast mir versprochen …«, protestierte ich, als ich die beiden außer Hörweite vermutete.
»Meine Liebe, ich habe dir nichts versprochen. Und du wirst mir, dem Captain, hoffentlich gestatten, dass ich mich mit meinem Steuermann und meinem Bootsmann bespreche, bevor ich eine endgültige Entscheidung über die Bedingungen von Hunters Aufenthalt auf der Rapace treffe.«
»Oui, mon capitaine«, gab ich kleinlaut bei.