Montag, 19. Januar 2015

1. Textspickerle zum Spin-Off DUNKLE HERZEN

Auszug aus Kapitel 1

Glensemais, Massachusetts, 29. September 1722

Ein Lächeln breitete sich auf meinem Gesicht aus, als ich Padraig zwischen den Bäumen entdeckte. Ich hatte schon eine halbe Ewigkeit auf ihn gewartet und tief in meinem Innern erste Zweifel gehegt, ob er überhaupt noch kommen würde. Doch nun war er endlich da, und meine Anspannung schlug in Vorfreude um.
Nahezu lautlos pirschte er durch das sonnendurchflutete Unterholz zu unserem Versteck, einer kleinen, von Brombeer- und Heidelbeersträuchern umgebenen Lichtung mitten im Wald. Auch Padraig hatte mich bemerkt. Er winkte kurz, bevor er zu einem beherzten Sprung über einen Baumstamm ansetzte, der ihm den Weg versperrte.
Ich stellte den Korb mit Hagebutten und Brombeerblättern beiseite und rannte ihm freudestrahlend entgegen. Und Padraig breitete die Arme aus, um mich aufzufangen.
»Ich hatte schon befürchtet, du hast mich vergessen«, rügte ich ihn mit gespielter Strenge.
Padraig setzte mich behutsam ab, so, als könnte mich eine unachtsame Bewegung zerbrechen. Sein rotblondes Haar flatterte in der warmen Brise, die um die herbstbelaubten Bäume strich. Eine Weile lang schaute er mich nur zärtlich an, dann schüttelte er den Kopf.
»Nein, Liebes, da täuschst du dich. Ganz gleich, was auch geschieht, ich könnte dich niemals vergessen ...«
Seine Liebeserklärung machte mich verlegen, denn sie kam unerwartet und entsprach so gar nicht Padraigs eher unromantisch veranlagten Naturell. Ich spürte, wie meine Wangen heiß und damit höchstwahrscheinlich auch rot wurden.
»Warum kommst du so spät?«, fragte ich, ein bisschen aus Neugier, weil er sich verspätet hatte, hauptsächlich jedoch, weil mich sein unverblümtes Liebesgeständnis ziemlich überrascht hatte, und ich von dem Thema ablenken wollte.
»Wir waren auf dem Feld. Viel länger hätten wir mit dem Pflügen auch nicht mehr warten können.« Padraig blickte in den wolkenlosen, blauen Herbsthimmel hinauf. »Noch ist es warm, aber in wenigen Tagen kann es schon den ersten Frost geben, und dann wird es immer schwieriger, den Boden zu bearbeiten.«
Ich nickte zustimmend, denn wir hatten auch bereits unsere Felder für den Winter vorbereitet.
Padraig nahm meine Hände. Er führte sie an seine Lippen und küsste sanft meine Handrücken.
»Jetzt sind es nicht einmal mehr vier Wochen, bis zu unserer Hochzeit«, sagte er nachdenklich. »Hast du dich schon mal gefragt, wie unser Leben danach weitergeht?«
Ich streichelte zärtlich über Padraigs unrasierte mit Bartstoppeln besetzte Wange.
»Sehr oft, mein Lieber«, erwiderte ich leise. »Aber wie soll es schon werden? Ich werde zu dir und deinem bärbeißigen Vater ziehen, den Haushalt führen, und dir auf dem Feld und bei den Tieren helfen und …«
»… und was?«
»Und eines Tages unsere Kinder zur Welt bringen, die wir gemeinsam großziehen werden«, erwiderte ich lachend.
»Macht dich diese Vorstellung glücklich? Ich meine, willst du wirklich die nächsten Jahre mit meinem mürrischen Vater unter einem Dach wohnen?«, fragte Padraig ernst.
Ich schaute ihn fragend an, denn gerade hatte mich sein Verhalten innerhalb kürzester Zeit zum zweiten Mal überrascht. Was wollte er mit seiner Frage bezwecken? Schließlich war es das Normalste der Welt, dass die Frau nach der Hochzeit zum Ehemann zog und, dass Padraigs Vater auch dort lebte, ließ sich nicht ändern. Ebenso wenig wie die Tatsache, dass er ein mürrischer Kerl war, dem man es fast nie rechtmachen konnte.
»Hast du vielleicht einen besseren Plan?«, erkundigte ich mich irritiert.
Padraigs Grinsen wurde so breit wie der Kennebec River nach der Schneeschmelze im Frühjahr.
»Und ob«, sagte er mit einem verschwörerischen Unterton, während er an seinem Hemd zu nesteln begann. Sekunden später zog er eine Lederrolle aus seinem Brustschlitz hervor.
»Hier.« Er drückte mir die Rolle in die Hand.
»Was ist das?«, fragte ich neugierig.
»Mach es auf. Sieh selbst.«
Mit fiebrigen Fingern öffnete ich das Bändchen, das die Rolle geschlossen hielt und wickelte in einem feierlichen Akt das Leder ab. Ungläubig bestaunte ich das Dokument, das unter dem Einband zum Vorschein kam.
»Das … das ist eine Besitzurkunde«, murmelte ich überrascht. »Und unsere Namen stehen darauf … Padraig, heißt das …«
Offensichtlich war ich Padraig im Moment viel zu begriffsstutzig. Er nahm mir die Urkunde samt Ledereinband wieder ab.
»Ja, Gwen, genau das heißt es«, erklärte er mit vor Aufregung heiserer Stimme. »Ich habe für uns Land gekauft. Wir werden unsere eigene kleine Farm besitzen. Ein Zuhause nur für uns …«

Ende des 1. Textspickerle. Wenn es euch gefallen hat, dann freut euch auf mehr.