Hallo meine Lieben,
bevor morgen die Testlese-Exemplare ausgeliefert werden, gibt es heute noch ein drittes Textspickerle aus Kapitel 6. Ich wünsche euch viel Spaß.
Glensemais,
Massachusetts, 30. September 1722 in den frühen Morgenstunden
Kaltes
Metall, das hart gegen meine Schläfe drückte, weckte mich aus dem Schlaf.
Langsam und ein wenig zitternd bewegte es sich über meine Haut, und ich hörte
jemanden in meiner unmittelbaren Nähe atmen.
Ein
letzter Rest Schläfrigkeit betäubte noch meinen Verstand, und so fiel es mir
schwer, die Wirklichkeit von meinem Traum zu trennen. Ich hatte von der
Begegnung mit Prestons Männern im Wald geträumt, in meinem Traum waren Padraig
und ich jedoch entdeckt worden und ...
Der
kalte Gegenstand befremdete mich. Ich wusste nicht, was da vor sich ging, doch
ich wagte auch nicht, die Augen zu öffnen. Starr lauschte ich in die
Dunkelheit. In meiner unmittelbaren Nähe hörte ich kein anderes Geräusch außer
einem gleichmäßigen Atmen. Langsam beschlich mich das Gefühl von Angst. Nachts
ist es oft ruhig, versuchte ich, mich selbst zu beschwichtigen. Ja, es war
ruhig, aber nicht gespenstisch still, als sei alles um mich herum ausgestorben.
Irgendetwas stimmte nicht.
Das
Metall wurde von meiner Schläfe genommen. Es folgte ein klackendes Geräusch,
das sich wie … Gütiger Himmel! Es hörte sich wie das Spannen eines
Pistolenhahns an. Eine Waffe! Jemand richtete eine Waffe auf mich! Nackte Panik
erfasste mich, als mir bewusst wurde, dass ich das Geschehen in meinem Zimmer
nicht länger ignorieren konnte.
Ich
schlug die Augen auf, während mein Oberkörper in die Senkrechte schnellte. Eine
Petroleumlampe wurde mir vor das Gesicht gehalten, blendete mich und tauchte
meine Umgebung in gleißendes Gelb und schattenhaftes Schwarz. Alles Weitere
geschah im Bruchteil von Sekunden. Meine Arme wurden grob auf meinem Rücken
gerissen. Gleichzeitig wurde mir eine feuchte, schwielige Hand auf den Mund
fest gepresst, die jeden Laut aus meiner Kehle erstickte.
Sie
waren mindestens zu dritt. Einer hielt die Lampe und zwei weitere packten mich
an den Armen, von denen mir einer den Mund zuhielt. Sie zerrten mich unsanft
aus meinem Bett und stellten mich auf die Beine. Sekunden später spürte ich
auch schon, wie sich die Kälte im Zimmer gleich einem eisigen Strom von meinen
nackten Zehen aufwärts in meinem gesamten Körper ausbreitete.
Allmählich
schälten sich menschliche Umrisse aus dem diffusen Licht. Etwa fünf Schritte
vor mir entfernt stand Preston mit der Lampe in der Hand. Der säbelbeinige
Chapman und der Riese Fowler hielten mich fest. Ein widerwärtiges Grinsen
umspielte Prestons Mundwinkel.
»Ich
hoffe, Ihr habt angenehm geträumt, Miss McDonnell?«, spottete er leise.
Argwöhnisch
starrte ich Preston an. Ich fühlte mich wie gelähmt, denn durch den eisernen
Griff meiner Bewacher war ich außerstande, mich in irgendeiner Form zur Wehr zu
setzen. Ohne wirklich zu begreifen, was geschah, war ein stoisches Nicken die
einzige Reaktion, die ich zustande brachte. Mein Blick wanderte panisch durch
die Kammer, in der Hoffnung darauf, dass ich Antworten auf die Fragen fand, die
mein Verstand mir stellte. Im Moment wünschte ich mir nichts sehnlicher, als
aus dieser albtraumhaften Situation zu erwachen und wieder in die heile Welt
zurückzukehren, die ich mit dem Einschlafen verlassen hatte.
»Ja,
Miss, seht Euch nur noch einmal in aller Ruhe um. Nehmt die Erinnerung mit, die
Euch mit diesem Ort verbindet, denn ich versichere Euch, Ihr werdet nie wieder
hierher zurückkehren.«
Da
ich nicht wahrhaben wollte, was mir dieser Mistkerl gerade prophezeite,
schüttelte ich trotzig den Kopf. Ich versuchte zu antworten, doch die Hand auf
meinem Mund machte das Sprechen unmöglich.
Preston
streifte mich mit einem leidenschaftslosen Blick.
»Ihr
solltet Euch warme Kleidung anziehen. Bloß mit einem Nachthemd am Leib werdet
Ihr den Weg nach Fort George kaum überleben. Was ich im Übrigen bedauern
würde«, bemerkte er anzüglich.
Fort
George? Was zum Teufel hatte das zu bedeuten? Ich fand zwar immer noch keine Erklärung für die
gegenwärtigen Ereignisse, aber zumindest war ich mir zwischenzeitlich sicher,
dass ich aus diesem Albtraum nicht mehr erwachen würde, da ich bereits hellwach
war.
Ein
Gedanke packte mich: Preston wollte, dass ich mir etwas anzog – falls ich das
Glück haben sollte, dass sie mich in der Kammer alleine ließen, konnte ich aus
dem Fenster klettern. Und wenn mir die Flucht gelang, konnte ich Hilfe holen
und … Mir blieb nichts anderes übrig, als alles auf eine Karte zu setzen.
Ich
atmete noch einmal tief durch, um meine Kräfte zu sammeln, danach deutete ich
mit dem Kopf zuerst auf die Kleidertruhe, dann auf meine Bewacher.
Preston
machte eine verständnisvolle Geste. »Aber natürlich, Miss. Ich verstehe, es ist
Euch unangenehm, Euch in der Gegenwart fremder Männer auszuziehen.«
Ich
nickte hastig und betete, dass mein Plan aufging. Wobei sich mir die nächsten
Fragen auftaten: Was war mit meiner Familie, mit meinem Vater, Willeam, Colum?
Und Macey und Eibhlin? Wo waren sie? Und was hatte Preston, dieser Bastard,
ihnen angetan? Ich riss mich zusammen, um die Flut an Fragen und Ängsten in
meinem Kopf zu stoppen. Wenn ich entkommen wollte, benötigte ich einen klaren
Verstand. Das hier war vielleicht die einzige Chance, um auch den anderen zu
helfen.
»Und
Ihr gebt mir Euer Wort, dass Ihr nicht schreit, wenn ich meine Leute aus dem
Zimmer schicke?«, fragte er.
Ich
nickte abermals, diesmal langsamer und besonnener. Im Moment konnte ich ohnehin
nichts weiter tun, als in Prestons Spielregeln einzuwilligen.
»Solltet
Ihr Euer Versprechen brechen, Miss McDonnell …«, Preston trat bis auf zwei
Schritte an mich heran und richtete den Pistolenlauf auf meinen Brustkorb, »…
werde ich nicht zögern und auf Euch schießen. Ihr es wisst sicher selbst, aus
dieser kurzen Distanz wäre das in jedem Fall für Euch tödlich. Ihr würdet
lediglich – je nachdem wo Euch die Kugel trifft – schnell und schmerzlos oder
langsam und qualvoll sterben. Ich persönlich würde Letzteres vorziehen, falls
Ihr die Regeln missachtet. Haben wir uns verstanden, Miss McDonnell?«
Ich
nickte ein drittes Mal, während ich den Blick senkte und dabei versuchte, die schrecklichen
Bilder beiseitezuschieben, die sich gerade vor meinem geistigen Auge
zusammensetzten.
Preston
gab seinen Leuten ein Zeichen, den Raum zu verlassen. Fowler und Chapman
befolgten den Befehl ohne Zögern. Insgeheim hatte ich gehofft, dass auch Preston
verschwinden würde, doch diesen Gefallen tat er mir nicht. Anstatt sich wie die
anderen zu entfernen, ging er zu der Kleidertruhe, die neben der Tür stand.
»Ihr
hattet gehofft, dass ich ebenfalls die Kammer verlasse«, stellte er mit einem
süffisanten Unterton fest.
»Ja«,
erwiderte ich niedergeschlagen, denn mein hoffnungsvoller Plan war so eben wie
Schnee in der Frühlingssonne zerronnen.
»Leider,
leider, Miss McDonnell, muss ich Euch enttäuschen. Ich werde bleiben, denn ich
möchte sicherstellen, dass Ihr keine Dummheiten macht«, antwortete er kalt
lächelnd und hob den Deckel an, um in die Truhe zu greifen. »Und nun zieht Euch
an. Ich bin mir sicher, die anderen warten bereits.« Er warf mir das Kleid
entgegen, das obenauf lag.
Als
ich es auffing, hatte ich Mühe, die meine Tränen niederzukämpfen. Wie grausam
das Schicksal war: Ich hielt mein Brautkleid in Händen.
Ich
drehte mich von Preston weg. Es genügte mir vollkommen, dass ich seinen Blick
in meinem Rücken spürte, ich brauchte nicht auch noch der Lüsternheit in seinen
Augen zu begegnen. Hastig zog ich mein Nachthemd aus und streifte das
cremeweiße Kleid über. Mein Vater hatte monatelang gespart, um das Geld für den
feinen indischen Baumwollstoff zusammenzubekommen. Und Eibhlin hatte all ihre Näh-
und Stickkünste aufgewendet, damit daraus ein wunderschönes Prunkstück für
einen besonderen Anlass wurde. Mein Herz krampfte sich plötzlich schmerzhaft
zusammen und Tränen liefen über meine Wangen, während sich Preston hinter mich
stellte und mir half, die Haken im Rücken zu schließen.
Ein
heftiges Schluchzen brachte meinen Körper zum Zittern. Noch immer konnte ich
nicht begreifen, was sich abspielte. Was um alles in der Welt hatte dieser
Mistkerl mit uns vor? Er nahm mich an der Schulter und drehte mich um, sodass
ich ihm ins Gesicht sehen musste.
»Da
habe ich doch hoffentlich nicht Euer bestes Kleid herausgesucht?«, sagte er mit
dem verlogensten Lächeln, das ich je bei einem Menschen gesehen hatte. »Ist das
etwa Euer Brautkleid?«